Politik und Musik - von und mit Stephan Eisel

Die Zensur greift um sich

 „Jetzt aber machte bei uns die Einbildung aller,
alles zu verstehen, und die Gesetzwidrigkeit nur
eben mit der Musik von Anfang, und dann kam
gleich hintendrein die zügellose Freitheit…
Unmittelbar an diese Freiheit schließt sich dann wohl
die weitere an, dass man der Obrigkeit nicht mehr
gehorchen mag.“
Platon, Die Gesetze, 701 a

 Abgesehen von den geschilderten, eher persönlichen Drangsalierungen griff die Musikzensur aus wirklich politischen Gründen erst um sich, als sich die geistige Unruhe der Aufklärung in vielen Werken widerspiegelte. Die Obrigkeit griff immer dann rigoros durch, wenn im Gefolge der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und der französischen Revolution die Explosivkraft der Freiheitsidee – insbesondere in ihrer Verbindung mit dem erwachenden Nationalstreben – auch in Musikstücken offenkundig wurde. Entscheidend dafür, welche Musik geduldet wurde, war nun immer weniger allein hochherrschaftlicher Geschmack, sonder vor allem die von ihr angeblich ausgehende Gefährdung der staatlichen Ordnung.

Ein klassisches Beispiel dafür ist die Oper Figaros Hochzeit von Wolfgang Amadeus Mozart. Den Stoff dafür entlehnte der Librettist da Ponte einem Lustspiel des Parisers Beaumarchais. Unter diesem Pseudonym hatte der Uhrmacher Pierre Augustin Caron vor der Revolution zwei Stücke veröffentlicht, die den Aufschwung des Bürgertums und den Zerfall der Adelswelt beschrieben: 1775 den Barbier von Sevilla – später von Rossini vertont – und 1778 Die Hochzeit des Figaro. Über das zweite Stück, das 1784 erstmals öffentlich aufgeführt wurde, hat Napoleon später gesagt: „C’ était la révolution déjà en action“.

Es verwundert also nicht, dass Aufführungen des Lustspiels in Wien verboten waren. Doch mit der Zusicherung, politische Anspielungen zu entfernen, erreichte da Ponte 1786 beim Kaiser die Erlaubnis zur Uraufführung der Mozart-Oper. Der große Erfolg des Werkes hat den Monarchen dann offenbar jedoch wieder verunsichert, denn auf seinen Wunsch hin musste die Oper schon bald wieder vom Spielplan abgesetzt werden.

Im Regelfall richtete sich der Unwillen monarchischer Zensurstellen gegen jene, die die Ideen der Revolution in ihren Werken aufnahmen. Nicht selten wurden sie beurlaubt, wie der preußische Hofkapellmeister Johann Friedrich Reichardt, der vor allem als Lied-Komponist bekannte geworden war. Es kam aber auch vor – und zwar im revolutionären Paris –, dass eine Oper der Zensur zum Opfer fiel, weil das Wort Freiheit darin nicht ausdrücklich zu hören war. Dieser Vorfall belegt einmal mehr, dass sich zur gleichen Zeit ganz verschiedene Herren der Dienste der Musikzensur bedienten.

Gelegentlich drohte allzu exponierten Komponisten auch Gefahr für Leib und Leben. Domenico Cimarosa beispielsweise – Schöpfer der äußerst erfolgreichen Oper Il matrimonio segreto (1792), die noch am Tag der Uraufführung in Wien auf kaiserlichen Wunsch wiederholt werden musste – war 1798 in Neapel wegen der Beteiligung an einem Aufstand verhaftet und zum Tode verurteilt worden. Er wurde dann jedoch begnadigt und aus seiner Vaterstadt verwiesen – wohl auch weil die Neapolitaner die Hinrichtung des Komponisten kaum zugelassen hätten.

Besonders aktive wurde die Zensur dort, wo sich die Freiheitsidee und nationales Unabhängigkeitsstreben musikalische verbanden. Schnell war offenbar klar geworden, dass Komponisten mit einer betont auf nationales Kulturerbe ausgerichteten Musik erheblich zur Förderung des Nationalgedankens in ihrer Heimat beitragen konnten. Genannt seien hier nur der Ungar Franz Liszt, der Italiener Giuseppe Verdi, der Tscheche Friedrich Smetana, der Russe Modest Mussorgski, der Norweger Edvard Grieg oder der Finne Jan Sibelius.

Die Musikzensur trieb vor diesem Hintergrund im 19. Jahrhundert vielfältige Blüten. So unternahmen das kaiserliche Wien Schritte gegen Beethovens Oper Leonore (1805) – später Fidelio – und Vincenzo Bellinis Ernani (1830) wurde wegen des revolutionären Untertons ganz verboten. In Deutschland und Österreich dürfte auch Gioacchino Rossinis Oper Wilhelm Tell (1928) nicht aufgeführt werden, denn die Handlung schildert österreichische Repression in der Schweiz. So wurden aus den Schweizern Tiroler und aus den Österreichern Franzosen bzw. Italiener. Das Werk erhielt den neuen Titel „Rudolfo Sterlinga bzw. Walter Hofer und war nunmehr genehm. In Berlin war das Original erstmals 1842 nach dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelm IV zu sehen. Ein Komponist wie Albert Lortzing erlebte zu seinen Lebzeiten von 1801 bis 1851 ganze sechs zensurfreie Monate, und zwar im Revolutionsjahr 1848.

Besonders Giuseppe Verdi musste leidvolle Erfahrungen mit der Zensur machen. In seiner Oper Nabucco (1842) schilderte er am Beispiel der Juden äußerst eindrucksvoll die Not eines Volkes, das nach Freiheit dürstet. Der Gefangenenchor aus diesem Werk fand schnelle Verbreitung und wurde als hervorragender Ausdruck italienischen Patriotismus’ und Freiheitsstrebens gegen die österreichische Herrschaft empfunden. Den amtlichen Stellen der Donaumonarchie war der Komponist seitdem besonders suspekt. Hinzu kam, dass viele Italiener begannen, den Namen Verdi als Abkürzung für Vittore Emanuele Re d’Italia zu lesen, als man sich später darauf verständigt hatte, Victor Emmanuel von Sizilien den Königsthron eines geeinten Italien anzubieten. Man durfte diese Parole zwar damals an keine Mauer schreiben, konnte sich aber in Hochrufen auf den Komponisten ungestraft zu ihr bekennen.

Die österreichische Zensur behielt den erfolgreichen Komponisten ständig im Auge: Sei es, um im Rigoletto (1851) – basierend auf Victor Hugos Le roi s’amuse – aus dem in eine Liebesaffäre verwickelten Franz I. von Frankreich einen Herzog von Mantua zu machen oder um den Handlungsort des Maskenball (1859) – es geht um die Ermordung des schwedischen Königs 1792 – nach Nordamerika zu verlegen. Selbst in unseren Tagen sind Verdis Opern noch das Ziel staatlicher Zensur: Noch Mitte der 80er Jahre wurde in Bukarest die Aufführung von Macht des Schicksals wegen des darin vorkommenden Priesterchores verboten.

Verdi brachte – was für seine Berufskollegen keineswegs selbstverständlich ist – für solche Rangeleien mit den staatlichen Organen das nötige Selbstbewusstsein mit, das natürlich mit dem musikalischen Erfolg wuchs. Als ihn später der italienische Innenminister ob seiner Verdienst um die italienische Nation zum Ordensmitglied der Corona d’Italia ernennen wollte, schrieb der Komponist kurzerhand zurück: „Ein Brief Eurer Exzellenz – musikkundig, wie Sie sich selbst bezeichnen und wie ich glaube – an Rossini behauptet, seit vierzig Jahren sei in Italien keine Oper mehr geschrieben worden. Warum schickt man mir also den Orden? Es handelt sich bestimmt um eine Verwechslung in der Adresse und ich sende ihn hiermit zurück.

In der Donaumonarchie kam es noch zu manche anderen Zensuraktivitäten, denn in dem Vielvölkerreich war Musik, die nationale Emotionen weckte, besonders gefürchtet. Verboten war beispielsweise das tschechische Volkslied Hej Slovane, was Antonin Dvorák um 1868 veranlasste, die Melodie des Liedes im Scherzo seines D-Dur-Streichquartetts zu verarbeiten. Franz Liszt – er war schon 1840 in ungarischer Nationaltracht zu einem Konzert erschienen – musste noch 1884 erleben, dass sein für die Einweihung des Budapester Opernhauses geschriebenes Kapitel Königslied von der Zensur verboten wurde.

Doch nicht nur in Wien fürchtete man die politische Dynamik nationaler Musik. In Russland galt in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts noch die Regel, dass ein Zar nicht auf der Bühne dargestellt werden durfte. So wurde aus Albert Lortzings Zar und Zimmermann (1837) dort Flandrische Märchen, in denen Kaiser Maximilian die Stelle von Zar Peter I. einnahm. Andererseits ordnete Zar Nikolaus I., kurz vor der Premiere der Oper Iwan Sussanin (1836) von Michail Glinka die – dem Libretto allerdings durchaus entsprechende – Umbenennung des Werkes in Ein Leben für den Zaren an. Aus Modest Mussorgskis Oper Boris Godunoff (1872) – es geht um den Versuch eines Usurpators, den Zarenthron an sich zu reißen – strich die russische Zensur vor Aufführungen meist die große Revolutionsszene. Der Zar ließ auch gegen die Oper Der goldene Hahn (1909) vom Nikolai Rimski-Korsakow vorgesehen, weil darin ein Despot als Dummkopf dargestellt wird. Die Oper nach einem Text Puschkins – uraufgeführt erst nach dem Tod des Komponisten – durfte nur noch in zensierter Fassung aufgeführt werden.

In Deutschland war es wohl besonders Richard Wagner (1813 – 1883), an dem das Spannungsverhältnis zwischen Musik und Politik deutlich wurde. Auf sein politisches Engagement wird noch einzugehen sein. Als im Oktober 1848 in Wien der vor allem in Sachsen aktive Robert Blum ermordet wurde – in Dresden kam es zu einem Trauerzug, in Berlin brachen Unruhen aus –, wurde jedenfalls in Dresden wegen Wagners Bekenntnis zu den revolutionären Zielen die Absicht aufgegeben, den Lohengrin uraufzuführen. König Friedrich August hatte im März 1848 in Sachsen zwar die Zensur aufgehoben und unter anderem eine Wahlrechtsreform eingeleitet. Aber Wagner – er war dem republikanischem Vaterlandsverein beigetreten – setzte sich mit anonymen Artikeln – deren Urheberschaft freilich viele bei ihm vermuteten –, in denen er dem König die Rolle des ersten Republikaners zuwies, zwischen alle Stühle. Sein Rienzi (1842) wurde in diesem Zusammenhang vom Spielplan abgesetzt und aus dem Orchester wurde sein Rücktritt gefordert. Wenig später entging der Hofkapellmeister nur durch Zufall der Verhaftung und entfloh mit Hilfe von Franz Liszt dem Zugriff der Behörden. Dass Richard Wagner jahrelang steckbrieflich gesucht wurde, hat also sicherlich – ebenso wie sein Scheitern 1865 in Bayern – kaum mit seiner Musik zu tun, sondern mit seinem politischen Engagement. Immerhin konnte Liszt trotz des Haftbefehls gegen den Komponisten 1850 in Weimar den Lohengrin uraufführen.

Die Entstehung nationaler Musik beunruhigte nicht nur um die Stabilität ihres Herrschaftsgefüges besorgte Fürsten, sondern führte auch zu Rivalitäten und Polemik, wo Komponisten außerhalb ihrer Heimat wirkten. In Preußen beispielsweise wurden Gasparo Spontini und Giacomo Meyerbeer angefeindet. Spontini – er war zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Paris tätig gewesen – war 1820 bis 1841 preußischer Generalmusikdirektor in Berlin, Meyerbeer übernahm die Position 1842.

Der national-konservative Musikschriftsteller W. H. Riehl schrieb dazu noch Mitte des Jahrhunderts mit spürbarem Willen: „Spontini war Generalmusikdirektor in Berlin und später neben ihm Meyerbeer! Spontini zu der Zeit, in der noch der tiefste Groll über die napoleonischen Erinnerungen im Fürsten wie im Volke kochen musste, und Meyerbeer, der französische Neuromantiker, zu der Zeit, in der die deutsche Neuromantik an der Spree in Blüte steht…Uns wird dadurch nur eines klar: dass unsere Politiker sich’s noch gar nicht träumen lassen, wie viel Politik in der Musik steckt.“

Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch die geistige Enge von Kaiser Wilhelm II., der seinen deutschen Hauskapellmeister nötigte, italienische Opern zu schreiben. Nur einmal besuchte er beispielsweise eine Oper von Richard Strauss – den Rosenkavalier – und meinte hinterher: „Det is keene Musik für mich.“ Sowohl in Dresden als auch in Berlin versuchten die Intendanten der Hofopernhäuser im übrigen, nach der Premiere den erotischen Stoff der Strauss-Oper zu entschärfen. Aus der Textzeile „Das Buch, das nehm’ ich immer abends mit ins Bett“ wurde dann „Das Buch, das nehm’ ich immer abends still zu mir“, und aus „Sag’ Sie heraus, auf was sie sich halt in der Eh’ am meisten freut“ wurde „Sag’ Sie einmal, worauf Sie sich nach dem Lever am meisten freut.“

Strauss hatte auch bei anderen Mitgliedern des Hauses Hohenzollern wenig Verständnis gefunden. Die Kaiserin wollte 1902 die Aufführung seiner Oper Feuersnot wegen deren sarkastischer Schärfe absetzen lassen, konnte sich aber nicht durchsetzen. Das Werk kam mit gemäßigtem Text auf die Bühne und wurde dennoch schon nach der siebten Vorstellung in Berlin verboten. Die Salome erhielt erst eine Aufführungsgenehmigung, als der Opernintendant den Kaiser damit beruhigt hatte, am Ende sozusagen als Beschwichtigung einen Stern von Bethlehem am Nachthimmel zu zeigen. In anderen Städten war die Oper nach ihrer Dresdner Uraufführung im Dezember 1905 bis 1918 verboten.

Es ist vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen nicht verwunderlich, dass Richard Strauss zu einem engagierten Streiter wider die Wilhelminische Zensur wurde. Voller Sarkasmus ließ er eine seiner Figuren in der ursprünglichen Fassung der Ariadne auf Naxos sagen: „Warum führt man solches Zeug auf? Wäre ich König, ich ließe von Polizei wegen jedes Musikstück verbieten, das ein Kanarienvogel nicht vom ersten Hören nachsingen kann. Und den Kerl, der es in die Welt geschafft hat, in Eisen legen, da wäre bald reiner Tisch.“ Dabei engagierte sich Strauss auch für die Freiheit anderer Künste und unterzeichnete beispielsweise 1911 eine öffentliche Denkschrift für den Dramatiker Frank Wedekind, die diesen gegen die „Erdrosselung durch Polizeigewalt“ in Schutz nahm.

Insbesondere im Zusammenhang mit dem 1. Weltkrieg schlug nationaler Chauvinismus dann mit wachsender Schärfe auf die Musikszene durch. Im November 1916 hatte beispielsweise Arturo Toscanini in Rom Musik aus Wagners Siegfried dirigiert. Es kam zu Protesten mit der Folge der Behinderung aller deutschen Musik. Als ein Jahr später in Monte Carlo die Operette La Rondine von Giacomo Puccini uraufgeführt wurde, polemisierte die Action Francaise, der Vorschlag zu diesem Werk stamme von einem Wiener, und forderte Konsequenzen wegen angeblicher Kumpanei mit dem Feind.

Die Stadt New York verbot 1917 die Besprechung deutscher Opern in den Schulen, da es sich um feindliche Erzeugnisse handle. Im Januar 1918 beschloss das Direktorium der New Yorker Philharmoniker, Kompositionen lebender Deutscher nicht mehr aufzuführen. Ein Jahr später wurde in den USA sogar eine Liga gegen deutsche Musik ins Leben gerufen. Sie trug u. a. mit dazu bei, dass der deutsche Dirigent der Bostoner Sinfoniker, Karl Muck, als feindlicher Ausländer verhaftet wurde.

Was die Zensoren des 19. Jahrhunderts unternommen hatten, wirkt so gesehen geradezu harmlos gegen die in unserem Jahrhundert über Europa hereingebrochene Musikdiktatur. Arturo Toscanini musste im Mai 1931 am eigenen Leib spüren, dass Ideologie keineswegs vor dem Konzertsaal haltmachte. Der bekannte Dirigent wurde von einem Konzertbesucher öffentlich geohrfeigt, weil er sich geweigert hatte, vor Konzertbeginn die faschistische Nationalhymne Giovinezza zu dirigieren. Doch solche Episoden waren nur ein Vorspiel.